Erfolgreich und oft am Limit
Die Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren feierte am 15. Mai in der ufaFabrik Berlin ihr 40. Jubiläum und präsentierte den statistischen Bericht „Was braucht´s? Soziokulturelle Zentren in Zahlen 2019“. In der Podiumsdiskussion ging es um die aktuellen Herausforderungen.
„Wie kann das passieren, dass ein Verband wesentlich jünger eingeschätzt wird, als er tatsächlich ist?“, fragt in seinem Grußwort Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats. Er bescheinigt der Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren ewig jugendlich wirkende Funktionäre. Und ihrer Geschäftsführerin Ellen Ahbe, sie verstehe „es exzellent, im Gespräch zu sein“ mit Mitstreiter*innen und Kooperationspartner*innen. Vor allem gelinge es dem Verband, immer wieder Themen zu setzen – und das „alles nicht altbacken, sondern frisch.“
Außer, wenn die HipHop Akademy Hamburg pralles Leben in den Saal tanzt, stehen Türme aus großen Würfeln auf der Bühne. Deren Seitenflächen zeigen markante Zahlen aus der aktuellen Datenerhebung zur Lage in den soziokulturellen Zentren. Es gibt hier nicht nur buchstäblich Licht und Schatten. Das Engagement, die Ausstrahlung und die Anziehungskraft der Mitgliedseinrichtungen sind vor dem Hintergrund dauerhaft und oft dramatisch prekärer Beschäftigungssituationen der angestellten Mitarbeiter*innen gestiegen. Dazu müssen sich die kulturpolitischen Sprecher*innen der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, von Bündnis 90/Grüne und der Linken verhalten. Sie bekommen nicht nur die Fragen der Moderatorin Adrienne Braun zu hören, sondern auch Kommentare und Einwürfe des Vorstandsmitglieds Rainer Bode sowie von Professor Wolfgang Schneider, der das Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim leitet. Er hat bereits in der Enquetekommission für Kultur in Deutschland die Belange der Soziokultur verfochten. Nicht vertreten waren die FDP und die AfD. Letztere stellt den Antipoden aller soziokulturellen Ambitionen dar und wurde nicht eingeladen.
Wie halten Sie es … persönlich mit der Soziokultur? Das erfragt Adrienne Braun als erstes. Nicht zuletzt daran lässt sich ja ablesen, wie ernst es die Diskutant*innen mit ihren späteren Aussagen meinen. Kein Grund, ihnen ihre Worte nicht abzunehmen. Martin Rabanus (SPD) erzählt, er sei mehr oder weniger in soziokulturellen Zentren aufgewachsen. Sie seien ihm ein ausgesprochen vertrautes Thema. Elisabeth Motschmann (CDU/CSU) hingegen wurde von ihren bürgerlich sozialisierten Eltern als Kind in Theater und Konzertsäle geführt. Ihr war der soziokulturelle Hotspot Bremen eine eindrucksvolle Schule. „Ich habe gelernt“, sagt sie, „dass wir die Zentren existenziell brauchen. Sie sind der Humus für viele Entwicklungen.“ In den 1980ern hatte Erhard Grundl (Bündnis 90/Grüne) eine eigene Rockband. Er weiß aus Erfahrung: „Schlussendlich geht’s dann ums Geld.“ Seit vielen Jahren ist Simone Barrientos als Freiberuflerin in den Bereichen Kunst und Kultur unterwegs. Sie weiß also genau, wovon sie spricht, wenn sie sagt: „Projekte werden immer gern gefördert. Die kann man dann vorzeigen. Bei der Strukturförderung hapert es. Der Aufwuchs wird hier zum Teil schon durch Kostensteigerungen gefressen.“
Adrienne Braun steigt hier ein und fragt Wolfgang Schneider, ob es eigentlich eine Studie darüber gebe, wie viele Ressourcen durch das Prinzip Projektförderung verschleudert werden. „Solche Fragen sind natürlich ganz wichtig“, erwidert er und stellt fest, dass es hier aber nicht nur Verluste, sondern auch Gewinne gebe. Er hat auch nichts dagegen, dass die Akteure immer mal wieder darüber nachdenken, was sie eigentlich tun und warum. Jedoch sieht er eines nicht ein: Die großen Institutionen bekommen „ihre Kohle von Bund, Ländern und Kommunen, und nur die freie Szene muss immer begründen“, warum sie welche braucht.
In Gerd Dallmanns Impulsvortrag zur Festveranstaltung spielt die wachsende Bedeutung von Verlässlichkeit und Kontinuität eine Rolle. Adrienne Braun fragt jetzt: „Könnte es nicht sein, dass auch für die Soziokultur selbst Kontinuität immer wichtiger wird?“ „Ja“, erklärt Rainer Bode, „wir brauchen Kontinuität. Die ist aber durch ‚Projektitis‘ und durch die prekären Beschäftigungsverhältnisse gefährdet.“ Später fügt er hinzu: „Gerade jetzt benötigen viele Zentren eigentlich personelle Doppelausstattung. Sie müssen den Generationswechsel gestalten. Das bedeutet Einarbeitungs- und Übergangszeiten.“ Um wenigstens dem inakzeptablen Zustand der prekären Beschäftigung zu begegnen, will sich Martin Rabanus dafür einsetzen, analog zum Mindestlohn entsprechende Klauseln in die Förderkriterien aufzunehmen: „Mit der Ausbeutung der einzelnen Personen in den Zentren kann es nicht so weitergehen.“
„Wenn nicht die Soziokultur hier voranschreitet, dann weiß ich nicht, wieso sie jetzt 40 Jahre feiern sollte“, antwortet Wolfgang Schneider. Veränderung sei ihr genetisch immanent. Und auf die Frage, ob soziokulturelle Zentren für die Transformation besonders prädestiniert seien: „Sie haben eine Funktion in der Community.“ Sie wirkten in die Stadtgesellschaft hinein, intervenierten, wo Dinge zu langsam gehen. Erhard Grundl sieht die Zentren als Verbündete: „Sie waren auf dem flachen Land immer Trendsetter.“ Dass hier Soziales und Ökologisches zusammengedacht werden, ist Simone Barrientos besonders wichtig. Sie stellt fest: „Gut ausgestattete soziokulturelle Zentren sind Jobmotoren für den gesamten Kunstbereich.“
„Erst einmal müssen wir dafür sorgen, dass die Städte keine soziokulturellen Zentren schließen“, ruft Elisabeth Motschmann. Sie bezieht sich dabei auf das Tacheles in Berlin, in dem ihr Sohn gespielt hat. Im Zuge der Gentrifizierung ist es leider kein Einzelfall, dass Zentren aus ihren Häusern geklagt werden. Simone Barrientos fordert hier einen Bestandsschutz nach dem Beispiel von London. Sowohl die Oppositionspolitiker*innen auf dem Podium als auch Teilnehmende im Saal beklagen den schleppenden Fortgang mancher Dinge. So kündigt der Koalitionsvertrag eine Vereinfachung des Zuwendungsrechts an. „Tut sich da was?“, fragt es aus dem Saal. „Der Koalitionsvertrag ist ein großes Versprechen. Es geschieht nichts“, kritisiert auch Erhard Grundl und Simone Barrientos verstärkt: „Mit dieser eingepreisten Selbstausbeutung kommen die Leute jetzt ans Limit. Da ist die Bundespolitik gefragt!“ Und eben nicht nur Länder und Kommunen. Man könnte zum Beispiel, wird angesprochen, nach dem Beispiel des Digitalpakts auch Soziokultur in Kooperation von Bund und Ländern strukturell finanzieren. Georg Halupczok, Vorstandsmitglied der Bundesvereinigung, spricht das Projekt „5 x 5“ an – fünf Jahre lang sollen je fünf Millionen Euro für Investitionen in soziokulturellen Zentren bereitgestellt werden. „Damit Sie die wirklich bekommen, müssen Sie das Doppelte verlangen“, rät Erhard Grundl.
Elisabeth Motschmann benennt den Hasen im Pfeffer: „Für alles, was wir wollen, müssen wir Mehrheiten organisieren. In den eigenen Reihen, in der Koalition, in den Ländern und Kommunen. Wir sind bereit und willig. Wir haben auch schon einiges erreicht. Aber wir brauchen eben Zeit.“
Immerhin darauf, dass die anwesenden Kulturpolitiker*innen wirklich wollen und dass sie zusammenhalten, können wir uns verlassen. Das ist nicht wenig.